Appell zur Sommersession: Die Kulturbranche braucht jetzt die Unterstützung des Parlaments!

Zum Beginn der Sommersession wendet sich die Kulturbranche der Schweiz an das Parlament. Wir brauchen weiterhin die Unterstützung des Bundes und der Kantone. Deshalb zählen wir auf Sie, und darauf dass der speziellen Situation der Kulturschaffenden und Kulturunternehmen in dieser vorsichtigen Öffnungsphase Rechnung getragen wird, mit Werkzeugen, die die Bedürfnisse unserer Bereiche auch tatsächlich erfassen! Ohne den Teufel an die Wand zu malen, stellen wir fest: «Ohne Unterstützung stirbt die kulturelle Vielfalt in der Schweiz». Häufig ist man sich nicht bewusst, dass die Kreativbranche, zu der auch der Kulturbereich gehört, mind. 22 Mrd. CHF Bruttowertschöpfung erzielt.

Gemäss Kulturstatistik des Bundes waren in der Kultur-und Kreativwirtschaft im Jahr 2013

  • mehr als 275'000 Personen in rund 71'000 Betrieben beschäftigt. Das sind über 10.9 % aller Betriebe und 
     
  • der Anteil der Beschäftigten an der Gesamtwirtschaft ist mit 5.5 % vergleichbar mit dem Anteil der Finanz-oder der Tourismusbranche. 
     
  • Die Kultur-und Kreativwirtschaft generiert einen Gesamtumsatz von rund 70 Milliarden Franken und erzielt damit eine enorme direkte und indirekte Wertschöpfung.
     

Neben der volkswirtschaftlichen Bedeutung kommt der Schweizer Kultur-und Kreativwirtschaft aber auch ein enormer gesamtgesellschaftlicher Stellenwert zu.

Wir fordern keine Sonderbehandlung! Aber wir brauchen Massnahmen, welche die besondere Situation der Kultur berücksichtigen. Der Kulturbranche, den mit ihr verbundenen Unternehmen sowie Künstler*innen wurde Ende Februar durch das Veranstaltungsverbot als Erste die Existenzgrundlage entzogen. Die Medienkonferenz des Bundesrates vom 20. Mai 2020 hat bestätigt, dass sie auch die letzte Branche ist, die den Weg zurück in die Normalität finden wird. Die wirtschaftlichen Auswirkungen im Kulturbereich werden erst nach und nach sichtbar. Die nahe Zukunft bleibt für das ganze «Ökosystem Veranstaltung» eine riesige Herausforderung, von den mittel-und langfristigen Folgen ganz zu schweigen. Die Kulturschaffenden werden die Auswirkungen auf lange Zeit spüren und deren soziale Not ist daher unbedingt zu verhindern.

Die notwendigen Massnahmen auf einen Blick:

 

  • Der Corona Erwerbsersatz für Selbständige muss weiterführt und das System so angepasst werden, dass einerseits ein Mindestbetrag garantiert wird, und andererseits Betriebszulagen gesprochen werden können. Das ist ein System analog zum Militärpflichtersatz, und die Betriebszulagen sollen es den vielen Einzelunternehmer*innen ermöglichen, nicht nur knapp zu überleben, sondern auch ihre Geschäftsstrukturen zu erhalten, damit es nach der Krise weitergehen kann. Diese Fortsetzung soll so lange dauern, bis wieder Normalbetrieb herrscht in der Veranstaltungsszene.
     
  • Die Kurzarbeit für Kultur-Unternehmen soll weitergeführt werden, bis wieder Normalbetrieb herrscht. Sie soll weiterhin auch für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sowie für mitarbeitende Ehegatten oder eingetragene Partner*innen gelten, denn sonst fallen eine grosse Zahl Direktbetroffene durch die Maschen. Dazu zählen auch Kulturschaffende und Kulturunternehmen, die sich als juristische Personenorganisieren, viele Labels, Agenturen, Verlage, Veranstalter, Dienstleister, Zulieferer usw. Bei ihnen allen hängen ihre primären Einnahmemöglichkeiten direkt von den Auftrittsmöglichkeiten ihrer Künstler*innen ab. Der Bundesrat hat am 20. Mai bekannt gegeben, dass der Anspruch auf Kurzarbeit für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung per Ende Mai eingestellt werden soll. Dieser Entscheid ist nicht nachvollziehbar und muss rückgängig gemacht werden. 
     
  • Nothilfe für Kulturschaffende und Ausfallentschädigung sollen bis zum Normalbetrieb weitergeführt werden (COVID-Kultur). Das Budget muss, wenn es ausgeschöpft ist, aufgestockt werden. Erfreulicherweise sind diese Massnahmen, die von Suisseculture Sociale und den Kantonen ausgerichtet werden, bereits bis zum 20. September verlängert worden. Es zeigt sich schon heute, dass die bisher zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen. Hier sind Bund und Kantone in der Verantwortung, die nötigen Beträge zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich nicht um eine Gewinnsicherung, sondern um die Aufrechterhaltung der Lebensgrundlage der Kulturschaffenden und Kulturunternehmen sowie ihrer Strukturen. Der Medianlohn von professionellen Kulturschaffenden betrug 2016 40'000 CHF im Jahr.
     
  • Ebenso ist sicherzustellen, dass alle Berechtigten die Gesuche um Ausfallentschädigungen stellen können. Die aktuelle Regelung, die nur formell selbstständigerwerbenden Kulturschaffenden den Zugang ermöglicht, schliesst eine grosse Betroffenengruppe aus. Gerade hier wird ersichtlich, dass die Kulturbranche deutlich komplexer ist als viele andere Branchen. Die kulturelle Vielfalt bedingt auch vielfältige Unterstützungsleistungen, welche sehr flexibel sein müssen.
     
  • Schliesslich ist die Nothilfe für Kulturschaffende via Suisseculture Sociale auch längerfristig zu sichern. Es ist absehbar, dass die Folgen der Coronakrise bei zahlreichen Kulturschaffenden kultursystembedingt erst verzögert eintreten und damit noch über mehrere Jahre existentiell spürbar bleiben. Daher ist zu erwarten, dass die Anzahl Fälle Kulturschaffender in existenzieller Not höher als vor Corona bleiben werden. Nothilfe für Härtefälle soll deshalb finanziell längerfristig gesichert werden, damit professionelle Kulturschaffende nicht aufgrund mittelbarer Auswirkungen der Coronakrise in die Sozialhilfe abdriften.

All diese Anliegen haben wir seit Beginn der Corona-Krise wiederholt bei den verantwortlichen Behörden deponiert. Durchgedrungen sind wir damit nur sehr beschränkt. Deshalb hoffen wir nun auf Verständnis und Unterstützung aus dem Parlament.

 

Wir bitten Sie bei folgendem Geschäft im Sinne der Kulturbranche zu stimmen: 


NR 3.6.2020     20.042Voranschlag 2020, Nachtrag IIa


SR 4.6.2020     3.306 Bundesamt für Kultur

                         A290 0109 Covid-Ausfallentschädigung für Kulturunternehmen und Kulturschaffende

                         A290 0111 Covid-Kulturvereine im Laienbereich

Bei der Ausfallentschädigung liegt ein Streichungsantrag vor. Bitte lehnen Sie ihn ab, er würde die kulturelle Vielfalt in der Schweiz zerstören. Denn wir gehen sogar eher davon aus, dass dieser Betrag nicht ausreichen wird.


Wir empfehlen Ihnen die Zustimmung zu diesen Motionen:
 


Weshalb dieser dringliche Appell zum Beginn der Sommersession?

 

«Wir lassen euch nicht im Stich», hat der Bundesrat zu uns gesagt, als im März die gesamte Veranstaltungsbranche geschlossen wurde. Damit standen tausende Kulturschaffende und Kulturunternehmen von einem Tag auf den anderen ohne Einkommen und Arbeit da. In den vergangenen Monaten ist der Bund mit seinen Massnahmen bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich zu dieser Aussage gestanden. Doch die vielen ungeklärten Details führen dazu, dass viele Akteure doch durch die Maschen fallen. Leider zeigte sich bald, dass die Verwaltungsbehörden in den Bereichen Wirtschaft und Kultur nicht bereit waren, die Kultur-und Veranstalterverbände wirklich in die Planung ihrer Massnahmen und deren Umsetzung einzubeziehen. Die notfallmässig gebildete Taskforce «Corona Massnahmen Kultur» ist der Ansprechpartner, welcher diebetroffenen Kreise vereint. Nicht nur wurden wir wiederholt vor vollendete Tatsachen gestellt, auch unsere wiederholten Nachfragen wurden oft nicht oder mit grosser Verzögerung beantwortet. 

Das Resultat dieser mangelnden Kommunikation sind verunsicherte Kulturschaffende und -veranstalter, die einerseits dem Willen zu Hilfe vertrauen wollten, andererseits in der Praxis feststellen müssen, dass sie im System der Corona-Hilfe nicht vorkommen. Wir brauchen Lösungen, wenn es dem Bund ernst ist mit der Ansage, die kulturelle Vielfalt in der Schweiz erhalten zu wollen. 

Ein paar Beispiele:

  • Kulturschaffende, die weder fest angestellt nochformell selbstständigerwerbend sind (sog. Freischaffende).
     
  • Kulturschaffende, die sich als Unternehmen organisiert haben und deshalb als «gewinnorientiert» eingestuft werden. 
     
  • Zahlreiche Kulturschaffende die in ihrer eigenen GmbH arbeiten, können nicht alsSelbstständige Erwerbsersatz beantragen. Sie sollen nun auch keine Kurzarbeitsentschädigung mehr erhalten. Ein selbstständiger Veranstaltungstechniker kann weiter EO erhalten, aber ein Veranstaltungstechniker in seiner Ein-Mann-GmbH erhält keine KAE mehr?Das geht nicht auf.
     
  • Die Kulturbranche hat in der Regel stark variierende Einkommen. Beim Erwerbsersatz nur das letzte Jahr als Basis zu nehmen zeigt deshalb ein falsches Bild. 
     
  • Beispiel Buchbranche: Buchmessen und Festivals sind abgesagt: Kontaktpflege, die zentral wichtig ist, ist damit nicht möglich. Auswirkungen werden wie berücksichtigt?
     
  • Betriebe im Bereich der kulturellen Bildung (z.B. private Musik-, Tanz-, Theater-und Kunstschulen) wurden aus den Massnahmen des Bundes für die Kultur ausgeschlossen und sind in ihrer Existenz bedroht.

Mit der vorsichtigen Öffnung beginnt nun eine neue Phase, und sie beginnt für uns wenig ermutigend: Auch hier wurde die Chance vergeben, die Branchenspezialist*innen und ihr Know-How rechtzeitig einzubeziehen und gemeinsam realistische Öffnungsrichtlinien zu erarbeiten. Richtlinien, welche die kulturelle Vielfalt berücksichtigen und die Branche aus ihrer Dauerverunsicherung geholt hätten, die seit dem Lockdown besteht. 

Deshalb wiederholen wir den Appell: Unterstützen Sie die Kulturbranche. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag, damit die kulturelle Vielfalt in der Schweiz nicht zerstört wird. Helfen Sie uns, dafür zu sorgen, dass der Einbezug der Branche und ihrer Spezialist*innen deutlich verbessert wird. Wir brauchen dringend eine regelmässige Kommunikation mit den zuständigen Bundesämtern BAK, SECO und BSV auf Augenhöhe. Das ist keine Sonderbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung, wie sie bei anderen Branchen, z.B. Tourismus oder Landwirtschaft, schon lange üblich ist.

 

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